oder: Wie man ihn zum Handwerk macht.
So weit ich zurück denken kann, war mir der Klappentext stets ein Graus. Und je länger meine Geschichten wurden, umso größer wurde das Problem. Ich hielt es für unmöglich, einen siebenhundertseitigen Wälzer auf 700 Zeichen herunterzubrechen.
Da aber als Autor*in kein Weg daran vorbei führt, habe ich die Herausforderung angenommen, schließlich sagte General Sun Tzu: "Wenn du dich und den Feind kennst, brauchst du den Ausgang von hundert Schlachten nicht zu fürchten."
Also gut, jeder Autor kommt irgendwann an den unangenehmen Punkt, einen Klappentext schreiben zu müssen.
Jährlich erscheinen ca. 69'000 Bücher und auf jedem steht ein Klappentext. Es kann doch also nicht so schwer sein, selbst einen zu schreiben?
Es ist noch gar nicht lange her, da betrachtete auch ich den Klappentext als den Teufel höchstpersönlich. Aber letztendlich lag das Problem nur darin, dass ich diese Kunst nicht beherrschte. Das war der erste Schritt in die richtige Richtung. Sobald ich nämlich das Problem erkannt hatte – und das war nicht der Klappentext, sondern ich selbst –, konnte ich nach einer Lösung suchen.
In solchen Dingen bin ich ein sehr analytischer Mensch. Wie ein Forensiker geh ich der Sache auf den Grund, weil ich denke, die Lösung liegt im Problem selbst verborgen. Und siehe da, beim Problem Klappentext war das tatsächlich der Fall. Und sobald ich den Durchblick hatte, sah ich, wie mir die Lösung praktisch auf hunderten Silbertabletts serviert wurde. Die Silbertabletts, das sind die Bücher, die überall in den Buchhandlungen oder Onlineshops und Buchantiquariaten herumliegen. Und das Beste daran: Die Klappentexte sollen bzw. wollen ja gelesen werden. Man hat also mit jedem neuen Klappentext die Möglichkeit, die Probe auf das Exempel zu machen.
Wir nähern uns also dem Kern der Sache. Schauen wir uns doch einfach mal einen Klappentext an.
Sam ist ein Außenseiter, der sich mit Mühe durch den Alltag schlägt und jeden Tag um Respekt kämpfen muss. Seine Fähigkeit, die Erinnerungen der Menschen zu sehen, entzieht ihm täglich Energie. Zudem steht eine Stammeszeremonie bevor, die ihn zu einer Zukunft in Ketten zwingen würde. Auf seiner verzweifelten Suche nach einem Ausweg stößt er auf ein Ritual, das ihm Freiheit verspricht: Das Essen von Vogelherzen bietet Sam die Fähigkeit, sich in einen Raben zu verwandeln.
Doch bald schon findet sich Sam als Spielfigur in einem Krieg wieder, der das ganze Land zu überrollen droht. Um die Menschen zu retten, stellt sich Sam, gemeinsam mit einem mysteriösen Gefährten, der Gefahr. Dabei erkennt er, dass er zu viel mehr in der Lage ist, als er selbst immer geglaubt hat – nicht ahnend, welche Rolle er tatsächlich spielt.
M.C. Larroh – Die Jäger des Nordens - Raben Trilogie I (2021)
Ein ganz normaler Klappentext. Schauen wir doch gleich noch einen zweiten an:
Rin ist ein einfaches Waisenmädchen, das im Süden des Kaiserreichs Nikan lebt. Ihre Adoptiveltern benutzen sie als billige Arbeitskraft, und um sie herum gibt es nur Armut, Drogensucht und Ödnis. Um diesem Leben zu entfliehen, setzt sie alles daran, um an der Eliteakademie von Sinegard aufgenommen zu werden. Doch auch dort wird Rin wegen ihrer Herkunft verspottet und ausgegrenzt. Da bricht ein Krieg gegen das Nachbarreich aus. Rin muss nun kämpfen und entdeckt dabei, dass ihre Welt nie so einfach war, wie sie geglaubt hatte – und dass sie zu viel mehr in der Lage ist, als sie selbst je für möglich gehalten hätte.
R.F.Kuang – Im Zeichen der Mohnblume (2020)
Fällt dir etwas auf? Die beiden Klappentexte ähneln sich irgendwie? Das stimmt. Ich muss da auch kein Geheimnis darum machen, dass ich den zweiten als Vorlage für Die Jäger des Nordens benutzt habe. Aber wie ging das?
Ganz einfach. Ich habe den Text seziert, bis am Schluss folgende Ableitung übrig geblieben ist:
Wer?
Problem von ihm/ihr
Aussichten in Zukunft
Welche Lösung findet er/sie?
Wie sieht die Lösung aus?
Aber ...
Was tut er/sie
Was erkennt er/sie dabei – aber ...
Das ist alles, was man wissen muss, um einen super Klappentext zu schreiben – vorausgesetzt, deine Geschichte passt genau in diese Ableitung hier, denn natürlich gibt es mehrere Varianten.
Überlege dir, welche Geschichte deiner ähneln könnte und halte die Augen offen. Lies die Klappentexte und brich jeden einzelnen Satz auf die Kernfrage herunter, bis du eine Ableitung wie oben erhältst.
Hier noch ein paar Tipps:
- Sammle Klappentexte, die was taugen. Mit Büchern aus großen Publikumsverlagen fährst du am besten.
- Versuche den Klappentext unter 700 Zeichen inkl. zu halten. In der Kürze liegt die Würze.
- Fasse maximal das erste Viertel zusammen. (Ausnahmen bestätigen die Regel.)
- Hinterfrage jeden Klappentext. Übung macht den Meister.
Bei den Jägern des Nordens habe ich ein bisschen über die 700 Zeichen hinausgeschoßen, aber auch da gibt es halt Ausnahmen. Aber ich muss zugeben, mittlerweile macht es mir sogar Spaß, Klappentexte zu schreiben. Ich würde also von mir behaupten, ich hätte meinen Feind bezwungen. Immerhin ein Problem weniger auf der Welt, mit dem ich mich rumschlagen muss. :)
Übrigens gibt es im White Book noch drei weitere Ableitungen, die dir helfen, deine epische Geschichte zusammenzufassen.
Viel Spaß!
(mcl)
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